„Das Potential für Futsal in Mainz ist riesig“

Zwei Spieltage vor Schluss der regulären Runde stellen sich die Futsaler TSG 1846 Mainz darauf ein, den direkten Klassenerhalt nicht mehr zu schaffen. Im Interview blickt Spielertrainer Christian Wölfelschneider auf die Relegation, die Wahrnehmung in der Stadt und gibt seine Einschätzung zur Situation des Futsals in Deutschland.

Acht Spieler des Teams sind positiv auf das Corona-Virus getestet worden, deswegen das wichtigste gleich zu Beginn: Geht es allen so weit gut?

Es ist niemand im Krankenhaus, insofern also ja. Einige haben aber schon recht heftige Symptome und berichten, dass sie sehr schnell außer Atem sind. Ich gehe aktuell deswegen davon aus, dass der Großteil nicht nur beim kommenden Spiel fehlt, sondern auch in der Woche drauf. Aber wirklich überraschend kommt ein solcher Ausbruch in der aktuellen Situation ja nicht, von daher sind wir natürlich rein sportlich froh, dass es jetzt passiert und nicht kurz vor der Relegation. Mit allen infizierten Spielern stehe ich in engem Austausch und hoffe natürlich, dass unabhängig vom Futsal keiner langfristig Probleme daraus mitnimmt.

Ein Ausfall des Spiels gegen Hohenstein am Sonntag droht aber nicht, oder?

Nein, wir konnten zuletzt normal trainieren und gehen fest davon aus, mit acht bis neun Spielern im Kader antreten zu können. Ich als Keeper stehe auch zur Verfügung, das Spiel ist also nicht gefährdet.

Hohenstein ist Tabellenführer und hat am vergangenen Wochenende 10:1 gegen Penzberg gewonnen. Hast du Angst vor einer Blamage?

Nein, habe ich nicht.

Was für ein Spiel erwartest du?

Eines, in dem wir angesichts der Qualität des Gegners unterlegen sein werden. Gleichzeitig sind wir aber kadertechnisch nicht schlechter besetzt als die Mannschaft, die im Hinspiel eine sehr ordentliche Vorstellung geliefert hat und nur 0:4 verloren hat, deswegen bleibe ich positiv. Zudem ist es für die Spieler, die auflaufen werden, wieder eine Möglichkeit für Lernprozesse gegen einen guten Gegner. Wir können nur positiv überraschen.

Du hast die Relegation schon angesprochen. Auch wenn der direkte Klassenerhalt rechnerisch noch möglich ist, werdet ihr aller Voraussicht nach in die Relegation müssen. Sollen die verbleibenden Spiele gegen Hohenstein und danach Weilimdorf deswegen vor allem als Vorbereitung darauf dienen, vielleicht auch um mal etwas auszuprobieren? 

Ja, absolut. Alles, was wir jetzt machen, wirkt auf die Relegation hin. Gleichzeitig geht für mich die Vorbereitung auf die Relegation so richtig erst nach dem Weilimdorf-Spiel los. Wir werden dann drei Wochenenden ohne Pflichtspiel haben und versuchen, möglichst viele Testspiele zu absolvieren, auch um wieder etwas Selbstvertrauen zu gewinnen. Wichtig wird auch sein, sich wieder darauf einzustellen, der Favorit in einem Spiel zu sein. 

Die letzten beiden Spiele werden Heimspiele sein, vor dem 0:7 gegen Wakka in Hamburg am vergangenen Wochenende hattet ihr sogar drei Heimspiele am Stück. Wie hat sich das angefühlt und wie nimmst du allgemein die Stimmung in der Stadt wahr?

Es ist eine viel höhere Aufmerksamkeit zu spüren, die aber noch im Keim ist. Mal ist der SWR bei uns in der Halle, mal kommen Unternehmen auf uns zu oder Menschen helfen uns beim Auf- und Abbau, einfach weil sie die Atmosphäre in der Abteilung so großartig finden. Wir haben eine super Halle in der Oberstadt, die wir unter Corona-Bedingungen bisher immer gut auslasten konnten. Wir können bei allem noch besser werden und das Potential ist riesig. Deswegen würde es mir so wehtun, wenn das nicht weiterginge. 

Natürlich ist dafür die sportliche Bundesligaqualität immer die Grundlage, aber auch in dieser Hinsicht haben wir als Mannschaft riesige Fortschritte gemacht. Solche Entwicklungsprozesse zahlen sich immer aus, wenn auch nicht immer innerhalb einer Saison. Unterm Strich bin ich fest davon überzeugt, dass Bundesliga-Futsal in Mainz von Jahr zu Jahr größer werden kann.

Mit Blick auf die Ergebnisse in der Rückrunde – null Punkte und zuletzt viermal in Folge ohne eigenen Treffer – könnten Außenstehende auf die Idee kommen, die Bundesliga sei eine Nummer zu groß für euch. Was entgegnest du denen?

Ich habe sowohl im Fußball als auch jetzt im Futsal noch nie eine Mannschaft trainiert, bei der ich mir die Spieler einfach aussuchen konnte oder in der nur Profis gespielt haben. Mir geht es immer um Entwicklung und wenn ich mir überlege, wo wir herkommen, ist unsere überragend. Vor sechs Jahren haben wir einmal die Woche am Samstag zwei Stunden lang trainiert. Letztes Jahr hat etwa die Hälfte des Teams nebenbei noch Fußball gespielt, jetzt ist das nur noch ein ganz kleiner Teil, der zur kommenden Saison nochmal kleiner wird.

Und genau so sehe ich auch diese Saison. Die Qualität, auf die wir jede Woche treffen, ist so groß, dass wir in jedem Spiel so viel lernen wie früher während einer ganzen Saison. Vor zwei Wochen haben wir uns darüber geärgert, nicht gegen den HSV gewonnen zu haben. Vor zwei Jahren hätten die uns aus der Halle geschossen. Sich auf diesem Niveau regelmäßig zu messen, ist Gold wert. Natürlich müssen wir uns in allen Bereichen kritisch hinterfragen, aber in der Rückrunde waren es oft nur Kleinigkeiten, die gefehlt haben. Das ist auch okay angesichts der geringeren Spielerfahrung bei vielen von unserer Spieler im Vergleich zum Rest der Liga.

In der Relegation werdet ihr auf die Meister der Regionalligen Südwest und Nord treffen. Welche Chancen rechnet ihr euch aus?

Mit unserer Erfahrung aus einem Jahr Bundesliga müssen wir den Anspruch haben, unsere Relegationsgruppe zu gewinnen, egal welche Gegner auf uns zukommen.

Du bist Trainer des Teams und stehst gleichzeitig als Stammtorhüter in jedem Spiel im Tor. Hast du schon mal überlegt, eine der beiden Aufgaben abzugeben?

Ich hinterfrage generell sehr viel, von der Trainingsarbeit über die Spielerentwicklung bis hin zur Ansprache vor dem Spiel. Und das gleiche gilt auch für meine Rolle als Spielertrainer. David Becker haben wir auch deshalb vor der Saison ins Trainerteam geholt, um jemanden zu haben, der die Rolle von außen während den Spielen übernimmt. Gleichzeitig habe ich schon als Jugendkoordinator bei Schott den jungen Trainern immer empfohlen, so lange wie möglich aktiv Sport zu machen. 

Ich glaube auch, dass es mir aktuell gut gelingt, zwischen den Rollen als Spieler und Trainer hin und her zu wechseln. Und wenn wir einen Trainer von außen holen, muss der auch das Verständnis für unser Projekt mitbringen, das sich natürlich etwas unterscheidet von anderen Bundesligisten. Unsere Strukturen sind schließlich nicht so professionell wie andernorts. 

Und ein Torwart, der dich auf der Platte ablöst?

Wir führen regelmäßig Gespräche und wenn wir einen Keeper haben, der mich früher oder später ablöst, bin ich der letzte, der auf seinen Platz zwischen den Pfosten pocht. Auch meine aktuellen Vertreter Patrick Nau und Pascal Peil haben schon einige Minuten in dieser Saison bekommen und sich gut präsentiert.

Lass uns zum Abschluss noch ein wenig weg von der TSG gehen und über den deutschen Futsal im Allgemeinen sprechen. Wie schätzt du die Qualität der Bundesliga ein, auch im internationalen Vergleich?

Ich muss sagen, dass die Liga homogener ist als ich es erwartet hatte. Dennoch hat sich die Liga trotz einiger überraschender Ausrutscher der Top-Teams so aufgeteilt wie gedacht. Hohenstein, Stuttgart und Weilimdorf an der Spitze, es folgen im gesicherten Mittelfeld Bielefeld und Hamburg. Und dahinter kommen dann Düsseldorf, Wakka, Penzberg und wir. 

Als Trainer des Tabellenletzten möchte ich mir nicht zu viel Kritik am Rest der Liga anmaßen, aber gerade bei den Spitzenmannschaften würde ich mir manchmal eine höhere Individual- und gruppentaktische Varianz wünschen. Es ist gut und wichtig, eine Spielidee zu haben, aber der nächste Schritt muss sein, diese Idee adaptieren und anpassen zu können. In dem Bereich muss die Liga auch im internationalen Vergleich noch viel besser werden. Trotzdem ist es ein ordentliches Niveau für das erste Bundesliga-Jahr. Gleichzeitig halte ich den Stand der Liga für besser als den der Nationalmannschaft, auch weil die meisten Spitzenspieler aus dem Ausland kommen.

Fördert der DFB den Futsal noch zu wenig, auch mit Blick aufs Nationalteam, das ja noch auf eine WM- oder EM-Teilnahme wartet?

Ja. Vor allem, dass das Konzept Futsal in der DFB-Akademie überhaupt keine Rolle spielt, kann ich nicht nachvollziehen. Die Verantwortlichen reden jetzt neuerdings immer davon, dass sie wieder „mehr Straßenfußballer“ wollen und schauen dann neidisch nach Spanien und Brasilien. Dabei ist das ganz zentrale Element dieser Spieler die Futsal-Ausbildung in der Jugend, die im Konzept des DFB komplett fehlt. 

Mit Blick auf die Nationalmannschaft ist eine kontinuierliche Entwicklung zu erkennen, aber es fehlt mir die Bereitschaft auch mal Spielern mit starker Spielleistung in der Bundesliga eine Chance zu geben, statt zu stark nur auf die physischen Voraussetzungen zu schauen oder auf Eingespieltheit zu setzen.. Hinzu kommt die fehlende Kommunikation zwischen dem Nationaltrainer und uns Bundesligatrainern. Ich finde das schwach und weiß, dass das nicht nur mich, sondern auch einige meiner Kollegen stört. 

Wer wird Deutscher Meister?

Mein Favorit nach der regulären Saison ist Hohenstein, weil ich dort mannschaftstaktisch die größte Bandbreite sehe. Gleichzeitig glaube ich, dass sowohl Weilimdorf als auch Stuttgart Spielertypen haben, die gerade im Playoff-Format für Überraschungen sorgen können. Außer den drei Teams traue ich niemandem den Titel zu, dafür ist das Leistungsgefälle dann doch zu groß.

by David Kulessa